Ausgabe 3/2023

| Gute Pflege | 3_2023 | 11 Bewohnerin und Bewohner war über die letzten Jahre der meistgenutzte Begriff für Menschen mit Pflegebedarf im stationären Umfeld. Mehr und mehr wird er vom Begriff Kunde/Kundin abgelöst, aber das sorgt für Diskussionsstoff, nicht zuletzt zwischen Ihnen beiden. Wieso? Schneider: Ich glaube es kommt darauf an, aus welcher Perspektive man sich diese Frage stellt. Bei mir ist das die unternehmerische. Wir bieten als Pflegeunternehmen ein Produkt, eine Dienstleistung, die wir an den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden ausrichten. Außerdem bieten wir als Konzern verschiedenste Produkte, von einer Rehaklinik, über Mobile Dienste bis hin zu Tagespflege, Residenzen und stationären Pflegeeinrichtungen. Je nach Setting sprechen wir aktuell von Gästen, Mietern, Bewohnern oder eben auch Kunden. Und ich tue mich schwer damit, die Menschen im stationären Setting eben mit dem Begriff des „Bewohners“ auf das Wohnen zu reduzieren. Deshalb neige ich ganz klar dazu, über alle Angebote hinweg, von Kunden zu sprechen. Klie: Aus meiner Sicht ist es gut, wenn man unterschiedliche Rollen spielen kann und sich in verschiedener Weise begegnet. Das Wort „wohnen“ hat ja seinen Ursprung im Mittelhochdeutschen und bedeutet im Wortsinn zufrieden sein mit sich und dem, was einen umgibt, ein Zustand des Friedens und den suchen Menschen, wenn sie eine neue Wohnstadt unter der Bedingung von Abhängigkeit aufsuchen. Im Bereich der vollstationären Pflege ist das Wohnen andererseits mit dem „Heimbegriff“ assoziiert, von dem wir uns ja lösen, da er eine gewisse Asymmetrie in sich trägt. Nichts gegen Freundlichkeit in der Pflege. Aber gerade im Zusammenhang der Ökonomisierung der Pflege sehe ich kritisch, den auf Pflege angewiesenen Menschen vor allem als Kunden zu sehen und anzusprechen. Die Sachziele der Pflege und einer gemeinnützigen Organisation sind beziehungs- und vertrauensorientiert. Deshalb halte ich es für falsch, den Menschen, der im Heim lebt, einerseits – um es überspitzt zu sagen – zum Kunden zu „degradieren“ – er ist weit mehr als Kunde – und anderseits nicht zu übersehen, dass er das nicht hat, was eigentlich den Kunden auszeichnet: die Wahl. Sprache macht Kultur beziehungsweise Meinung sagt man häufig. Ist das so? und wenn ja, welche Kultur fördern die jeweiligen Begriffe Ihrer Ansicht nach? Klie: Ob der Begriff des Bewohners noch passt, darüber kann man streiten. Deshalb verstehe ich auch die Überlegungen, nach einem anderen Oberbegriff zu suchen. In Pflegeheimen bleibt der Begriff „wohnen“ für mich essenziell. Es geht darum – um es mit Schiller zu sagen – „Schutz und Nahrung“ zu finden. Das ist etwas anderes, als Empfänger von Dienstleistungen zu sein. Und: Pflege ist im Kern Interaktionskunst und keine standardisierte, erwartbare Dienstleistung. Schneider: Ich versuche auf zwei Ebenen zu erwidern: Die Herleitung des Wortursprungs des Bewohners ist nachvollziehbar. Auch den Kundenbegriff kann man herleiten. Aus dem Altdeutschen kommt er vom Einheimischen, vom Nachbarn, das sind durchaus auch positive Begriffe. Das Zweite: Der Mensch hat theoretisch schon eine Wahl, in welchem Setting er gepflegt werden möchte. Zwei Drittel wählen immer noch die Pflege zu Hause. Faktisch gibt es die Wahl aufgrund von Verfügbarkeiten aktuell oft nicht, das ist klar. Dennoch gibt es zumindest unterschiedliche Produkte für unterschiedliche Lebenssituationen, auch hier innerhalb der Heimstiftung. An erster Stelle steht immer das Handeln. Trotzdem spielt es eine Rolle wie wir von den Menschen sprechen, die wir pflegen und betreuen. > > >

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